Die Röchte-Telefonate (14)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

 

jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los. Außer sie wollen über diese Groko reden. Dass die SPD da mitmacht, war klar und mehr ist dazu nicht zu sagen.

Na gut, dann reden wir über die Linke.

Welche Linke? Meinen sie die Partei, die Linke allgemein oder etwa die sogenannten Linken in der SPD?

Warum „sogenannte“?

SPD und „links“ hat sich eigentlich immer schon ausgeschlossen, nicht erst seit Schröder. Ich verstehe ja die Sorgen der Jusos und anderer um ihre Partei. Man hängt halt dran. Sie haben kapiert, dass es den ihren Granden nur um Pöstchen geht, aber mit Linkssein hat das erst mal nichts zu tun.

Was wäre denn links?

Links ist alles, was den Kapitalfluss von unten nach oben umkehrt oder wenigstens aufhält.

So einfach?

Erstmal ja.

Und die Antifa?

Sollte das auch im Sinn haben. Außerdem sollte Antifaschismus und Antirassismus nicht nur Thema der Linken sein sondern bürgerliche Normalität.

Da sagen sie was …

Dass dem nicht so ist, weiß ich selbst. Genau da sehe ich die Gefahr. In absehbarer Zeit werden sich die Bürgerlichen, Herr Spahn und Co, mit den AfD-Nazis zusammentun. Aber wir wollten ja über die Linke reden.

Vielleicht doch noch mal zur SPD. Da gibt es ja jetzt diese „Progressive Soziale Plattform“.

Habe ich gestern auch gehört. Das schein doch erstmal eine Initiative zur Rettung der SPD zu sein. Finde ich ok. Ohne Sozialdemokratie sieht es im Kapitalismus ganz düster aus und wenn die SPD auf diesem Wege wieder sozialdemokratisch würde und mithelfen, den Kapitaltransfer von unten nach oben ein wenig entgegenzusetzen, wäre das ja schon mal was. Aber eine Massenbewegung wird das nicht.

Auch Lafontaine und Wagenknecht haben sich ja für eine stärkere Zusammenarbeit der linken Kräfte stark gemacht.

Alles gut und schön. Wobei ich allerdings meine, dass solche Leute, dazu gehört auch dieser Dehm, in einer linken Bewegung nichts zu suchen haben, allein aufgrund ihrer nationalistischen Positionen. Solange die Linke – ich meine jetzt die Partei – solche Typen mit sich rumschleppt, wird das alles nichts werden.

Wie stellen sie sich denn eine linke Massenbewegung vor?

Zuerst einmal muss sie realistische Ziele formulieren. Der Kapitalismus ist in absehbarer Zeit nicht abzuschaffen, der Drache will weiter gefüttert werden. Dies sollte jeder Linke klar sagen und keine antikapitalistischen Fantasien befördern. Allerdings kann der Drache im Zaum gehalten und so vielleicht viel Unheil vermieden werden. Wie gesagt, eine ernstzunehmende Linke muss sich internationalen Kapitalflüssen entgegenstellen. Schauen sie, wieviel Leute allein durch Waffenproduktion, -handel und -einsatz enteignet werden. Wenn eine Linke da nicht ansetzt, ist sie keine. Auf nationaler Ebene muss sie die unsäglichen Hartz-4-Gesetze rückgängig machen und die allgemeine Verarmung stoppen. Vielleicht hilft ein Grundeinkommen, keine Ahnung.

Und wie sollte sich so eine linke Massenbewegung organisieren?

Mit dem Begriff „Massenbewegung“ wäre ich ja vorsichtig, aber richtig ist schon, dass es nicht um eine Partei mit den üblichen Schwätzern und Pöstchenjägern gehen kann.

Sondern?

Aus meiner Sicht müsste eine, ich nenne sie mal „Neue Linke“, auf drei Säulen basieren: Zuerst einmal sollte sie praktische Hilfe für Arme leisten, also konkrete soziale Arbeit für die Abgehängten. Das muss nicht neu erfunden werden, gibt es alles schon. Vielleicht ist der gemeinsame Aufruf des Bündnisses aus 30 sozialen Organisationen zur offensiven Sozialpolitik „Armut jetzt bekämpfen!“ ein Schritt zur Zusammenarbeit. Also, da muss die Basisarbeit geleistet werden. Wenn die Leute den konkreten persönlichen Nutzen nicht erkennen, werden sie keiner Bewegung hinterherrennen. Außerdem braucht es die Straße. Heißt, die Antifa und die jungen Demogänger müssen ins Boot geholt werden.

Wird aber schwierig …

Klar. Wer sagt, dass es leicht ist? Da gibt es viel berechtigtes Misstrauen gegenüber den Bürgerlichen, den Sozialorganisationen und vor allem den Parteien. Wie das zu lösen ist, kann ich ihnen auch nicht sagen. Nur, ohne den Druck von der Straße und der antifaschistischen Aktion läuft nichts. Wobei man auch nicht in die Gewaltfalle tappen darf, wie uns die RAF gelehrt hat. Ganz schwieriges Thema.

Sie sprachen von drei Säulen.

Ja, da kommt jetzt das ins Spiel, was sich bei der SPD, den Linken und vielleicht auch bei den Grünen tut. Die Bewegung braucht auf jeden Fall einen parlamentarischen Arm mit ausreichend Sitzen in allen Parlamenten und dem Ziel der Regierungsbeteiligung. Also Politprofis, die das, was an der Basis und auf der Straße formuliert wird, in die Parlamente tragen und auch in Gesetze gießen.

Zusammengenommen fordern sie also ein Bündnis aus sozialen Organisationen mit der Antifa und einem starken parlamentarischen Arm.

Wenn sie so wollen. Obwohl, was heißt fordern? Ich halte es für dringend geboten.

Offen gesagt kommt mir das alles recht bekannt vor.

Inwiefern?

So agiert doch die Rechte. Da gibt es die Basis: Jugendarbeit, Kameradschaften, Festivals, soziale Arbeit etc., dann den Straßenmob: Pegida und Co. und dann, mit der AfD, eine politische Vertretung der Nazis, Rassisten und Kriminellen in den Parlamenten.

Die schon bald in die Regierungsverantwortung kommen kann. Sie haben Recht, die Rechte ist da weiter. Daher rührt auch ihr Erfolg. Ist ja auch alles nicht neu. Auch die Grünen haben mal so angefangen.

Und halten sie ein solches Bündnis für realistisch?

Keine Ahnung, bin eher skeptisch. Fragen sie mich in drei Jahren noch mal.

Mache ich. Danke für das Gespräch. Und was machen sie heute noch so?

Irgendwas Eskapistisches, vielleicht zum Fußball gehen. Ist ja sonst nicht auszuhalten.

Die Röchte-Telefonate (13)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los. Aber fangen sie bitte nicht wieder mit diesen Koalitionsverhandlungen oder irgendwelchen Sondierungsgesprächen an.

Keine Angst. Lassen sie uns über Musik reden.

Superspannend (gähnt laut). Worüber genau?

Ihre Platte des Jahres vielleicht?

Wahnsinnig innovativ. Aber gut: es gibt keine.

Sie meinen, 2017 ist nicht Gutes erschienen?

Doch schon, aber eine Platte des Jahres sollte ein Hammer sein, etwas Nie-Gehörtes oder zumindest sollte sich eine gewisse Anzahl von Expertinnen und Experten auf eine Veröffentlichung einigen. Schauen sie mal in die Spex. 38 Autorinnen und Autoren – und alle haben verschiedene Bestenlisten, nur ganz selten wählen mal zwei Personen die gleiche Platte auf Platz 1 und bei den Leserinnen und Lesern sieht es noch mal wieder anders aus. Keine Konsensalben mehr. Muss aber nicht schlimm sein.

Das Spex-Album des Jahres kommt von Kelela.

Ja. Steht im Leserpoll aber nur auf Platz 8 und in anderen Musikzeitschriften spielt sie nicht die große Rolle.

Und wie finden sie Kelela?

Sorry, kann nichts dazu sagen. Das Björk-Radiohead-Phänomen.

Was ist denn nun das schon wieder?

Ich kann einige Musiken nicht hören, weil ich die Stimmen nicht ab kann. Meistens ist das nicht schlimm, weil auch die Musik Scheiße ist. Aber von Björk oder Radiohead und eben auch von Kelela würde ich mir Instrumentalplatten gerne anhören. Ist mein persönliches Problem, hat nichts mit der Qualität der Künstler zu tun. Gilt auch für Solange, Bruce Springsteen, mit Abstrichen auch für Van Morrison. Zum Glück muss ich mich nicht professionell mit Musik beschäftigen und kann es mir leisten, bestimmte Veröffentlichungen, wie die neue Björk-Platte, einfach zu ignorieren. Vielleicht fragen sie einfach nicht den richtigen.

Aber es ist doch immer subjektiv. Welche Neuerscheinungen haben sie denn im letzten Jahr gerne gehört?

Ganz ehrlich? Antilopengang – und zwar die beigelegte zweite CD mit den Punkversionen. Prollig oder? Kommt zumindest in den verschiedenen Jahrescharts nicht so oft vor.

Und sonst?

Ach, schöne Sachen gibt es doch immer: Shabazz Palaces, Feelies, Neil Young, The National, The War On Drugs, Portugal The Man, Kendrick Lamar … Nicht so überzeugt hat mich der hochgehandelte Thundercat, auch LCD Soundsystem haben mir schon mal besser gefallen. Aber wie gesagt, der große Wurf war 2017 nicht dabei. Aber vielleicht habe ich auch nicht alles gehört bzw. sowieso keine Ahnung.

Gab es denn Newcomer, die es zu verfolgen lohnt?

Mmh, sind mir nicht aufgefallen. Im Radio höre ich weiterhin die Quietschmädchen und Jammerjungs mit schlimmen Stimmen, die aber nicht unter das Björk-Radiohead-Phänomen fallen, weil auch die Musik langweilig ist. Aber alles habe ich auch nicht verfolgt. Simon Joyner finde ich ganz interessant. Aber der hat schon eine Menge Platten gemacht. Hab ihn nur jetzt erst entdeckt.

Von Bob Dylan gab es doch auch Neues.

Ein ganz anderes Thema. Als Fan kann ich seine Triplicate-Platte nur Kacke finden. Obwohl ich mir denken kann, warum er das macht.

Und das wäre?

Bin kein Dylanologe, aber klar ist doch, dass er versucht, die große amerikanische Songtradition zu konservieren. Das fing mit Woody Guthrie an und ging mit Blues und Country weiter. Als er in den späten Siebzigern auf Gospel machte …

Da ist ja auch grad was in den Bootleg Series erschienen …

Ja. Da dachten alle, er ist zum Christentum konvertiert. Was Quatsch war, nur eine weitere Rolle, um Gospel zu performen. Und jetzt gibt er eben den Crooner.

Seine letzte Rolle?

Ich hoffe nicht. Wäre aus meiner Sicht kein würdiger Abgang.

Wir werden es sehen. Ihr Fazit für 2017?

Alles wie immer. Wenn ich es mir recht überlege, kann ich ihnen zwar nicht die beste aber die schlechteste Platte 2017 nennen.

Triplicate?

Ja, leider.

Danke für das Gespräch. Und was hören sie heute noch?

Vince Staples oder Traffic oder Jazz. Jazz geht immer.

Die Röchte-Telefonate (12)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

 

jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los.

Können wir denn heute über die Koalitionsverhandlungen reden.

Nö. Interessiert mich immer noch nicht. Aber eins vielleicht: ich hätte kurz nach der Wahl eine Wette darauf abschließen sollen, dass die SPD sich doch noch irgendwie an der Regierung beteiligen wird. Das hab ich schon gesagt, als dieser Schulz sofort das Gegenteil behauptet hat. Irgendein englischer Buchmacher hätte die Wette schon angenommen und ich wär bald reich.

Na warten wir es ab. Und was schlagen sie als Thema für heute vor?

Warum ich? Sie sind wohl mal wieder schlecht vorbereitet?

Gut, dann lassen sie uns über dieses unsägliche Zentrum für Politische Schönheit reden.

Wenn es sein muss. Aber warum unsäglich?

Finden Sie denn nicht auch, dass diese Stelenaktion beim Höcke absolut geschmacklos ist?

Kann man wohl drüber streiten. Ich weiß, dass auch viele Linke das so sehen.

Aber sie scheinbar nicht.

Ich will jetzt gar nicht über Geschmack mit ihnen reden. Aber wer sagt denn, dass Kunst geschmackvoll sein soll?

Kunst?

Ja, denke schon, dass wir hier über Kunst reden. Also, es ist doch so: Das Holocaust-Mahnmal in Berlin war doch von Anfang an höchst umstritten. Auch bei Linken. Bin im Sommer da gewesen und es ist alles gekommen, wie die Kritiker es vorausgesagt haben. Kids chillen auf den Stelen rum, essen Pommes und daddeln am Handy, Kinder spielen Verstecken, die meisten Erwachsenen können nichts damit anfangen und die Ausstellung im Keller reißt auch nicht alles raus. Nun kann man mit Recht sagen, das ist kein würdiger Umgang mit der Shoah. Aber das Denkmal für die ermordeten Juden Europas ist nun mal ein Denkmal. Glaube nicht, dass ein würdigeres Werk, so ein klassisches Mahnmal, diese Funktion so gut erfüllt hätte wie Peter Eisenmans Stelen. Es wird diskutiert und damit denkt man an die Verbrechen der Nazis. Mehr kann Kunst nicht erreichen. Die Details kann man schließlich an vielen anderen Stellen nachlesen oder nachschauen.

Gut, aber was da in Bornhagen abläuft, ist doch wohl eine andere Nummer.

Warum meinen sie das? Ich denke schon, dass es sich da um Kunst handelt. Wie gesagt, über Geschmack lässt sich streiten. Aber das Werk – und ich meine das Gesamtwerk, nicht nur die Betonklötze in Höckes Nachbargarten, auch die mediale Begleitung, das Spielen mit Lügen und Halbwahrheiten, die erwartbaren Reaktionen von Nazis, Polizei, Politik, Medien und linken Kritikern – ist für mich ohne Zweifel ein Kunstwerk, eher der Aktionskunst als der bildenden Kunst zuzuordnen. Und Kunst darf erst mal alles. Wenn sie dann noch der Aufklärung dient … Was will ich mehr?

Geht es nicht um die Selbstdarstellung eitler Künstlertypen?

Künstler sind doch immer eitel. Und Kunst ohne Selbstdarstellung? Klar hat das alles ein Geschmäckle aber die Tatsache, dass an die Shoah erinnert wird und vor allem auch daran, dass in deutschen Parlamenten wieder Typen sitzen, die die Naziverbrechen relativieren und von einem „Denkmal der Schande“ reden, wiegt das doch alles auf. Ähnlich ist es doch auch mit den Stolpersteinen von Gunter Demnig. Auch dem wird Eitelkeit und Geldmacherei vorgeworfen. Hab ihn mal live erlebt und das ist alles nicht von der Hand zu weisen. Auch, dass die Gedenksteine ins Trottoir eingelassen werden und jeder Arsch drauf rumtrampelt, wird kritisiert. Kann ich alles nachvollziehen, aber die Idee, eines europaweiten Denkmals mit mittlerweile über 60.000 Steinen ist doch so grandios, dass man über alles andere hinwegsehen kann.

Auch darüber, dass diese Steine von Nazis beschmiert oder herausgerissen werden?

Das zeigt doch, dass die Kunst wirkt. Sie ärgern sich und entlarven sich gleichzeitig. Jeder herausgerissene Stein beweist doch, dass die heutigen Nazis in klarer Kontinuität zu denen von 33 stehen. Das gilt auch für Höcke. Wenn sie so wollen, gehören diese Reaktionen zum Gesamtkunstwerk dazu.

Wenn sie meinen.

Ja, tue ich.

O.k., an dieser Stelle werden wir uns wohl nicht einig werden.

Egal.

Und was machen sie heute noch?

Keine Ahnung. Wollte eigentlich in die Stadt, CDs shoppen, den Drachen füttern, aber ich glaube, der Weihnachtsmarkt hat schon angefangen. Da kotz ich im Strahl.

Trotzdem danke für das Gespräch.

Schon gut. Und nächstes Mal besser vorbereiten.

Die Röchte-Telefonate (11)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

 

jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los.

Lassen sie uns über die Koalitionsverhandlungen reden.

Nö. Interessiert mich nicht.

Sondern?

The Twang.

The Twang? Helfen sie mir.

Hab mir gedacht, dass sie die nicht kennen. Dabei haben die immerhin eine Postadresse in Schwülper.

Witzig. Und wo genau liegt das?

In der Nähe von Braunschweig. Musste allerdings auch Google Maps bemühen. Also, The Twang ist die Band, die die Countryfizierung erfunden hat.

Und was ist das nun schon wieder?

Der deutsche Begriff für Countryfication. So heißt auch ihr erstes Album.

Toll, das hilft mir jetzt wirklich weiter.

Also von vorn. The Twang ist eine Country Band. Sie beherrschen alle Spielarten der Countymusik, vom Tear Jerker bis hin zu mariachiartigem Zeug. Ihre Spezialität ist, bekannte Songs aus allen Bereichen der Popmusik in diverse Countrystiles zu übertragen.

Jetzt funkt es. So wie Boss Hoss?

Ja und nein. Boss Hoss ist die kommerzielle Variante dieser Spielart. Die Band gibt es allerdings erst seit 2004 und The Twang schon seit 1997. Ihr erstes offizielles Album erschien 2003. Gibt auch andere, die mittlerweile sowas machen, aber man kann schon sagen, dass The Twang diesen Stil für Deutschland entwickelt haben. Mittlerweile gibt es fünf reguläre Alben. Gecovert werden Songs von Britney Spears, den Beastie Boys, R.E.M., Michael Jackson usw. Sie sehen, die machen vor nichts Halt. Auf dem letzten Album „Wüste Lieder“ aus diesem Jahr gibt es erstmals nur deutsches Zeug. Da schaffen sie es, totgespieltem Zeug wie „Griechischer Wein“, oder Westernhagens „Mit 18“ noch etwas abzugewinnen. Große Klasse. Und dann noch: „Er gehört zu mir“, genauso tot gespielt, irgendwie schwul konnotiert, kriegt hier mit Unterstützung von Bela B. durch zwei tiefe Männerstimmen noch mal einen ganz anderen Dreh.

Aber sind Cover nicht eigentlich langweilig?

Finde ich nicht. Gibt halt verschiedene Formen des Coverns. Es gibt die, die versuchen, das Original so gut wie möglich zu kopieren. Ist eine gute Übung für Anfängerbands. Immerhin sind die Beatles auch so gestartet. Für Stadtfeste ganz o.k., aber in ein Konzert so einer Band würde ich nicht unbedingt gehen. Allerdings ist das gerade sehr beliebt. Gibt ja mittlerweile für jede mittelmäßig bekannte Band mindestens eine Coverband. Ganze Festivals werden ja damit bestritten. Dann sind da die Cover, die das Original verarschen wollen, irgendwelche lustigen Versionen, die ich aber meistens nicht so lustig finde. Und drittens gibt es eben die Bands, die einen eigenen Stil haben und versuchen, fremde Songs in diesen Stil zu transferieren. Der Klassiker ist „Satisfaction“ in der Version von Devo. Und in diese Kategorie würde ich auch The Twang packen.

Und warum kennt die keiner?

Sie meinen, weil sie die nicht kennen? Sie spielen eine Menge Konzerte, auch in den USA, und auf ihrer zweiten Platte haben ein paar US-Countrygrößen mitgespielt. Aber sie haben schon Recht. Absahnen tun Bands wie Boss Hoss und The Twang bespielen die kleinen Läden.

Weil Boss Hoss besser ist.

Auf keinen Fall. Boss Hoss ist halt eine größere Produktion, auf Festivalbühnen ausgelegt. Mir sind die viel zu pathetisch. Die Kunst von The Twang ist, bei allen Stücken das Pathos rauszunehmen. Eigentlich unhörbares, tausendmal von Stadtfest-Bands gecovertes Zeug, wie eben „Mit 18“, ist plötzlich gut anzuhören. Muss man erst mal schaffen.

Na, da haben wir ja wieder was gelernt. Und was machen sie jetzt?

Auf den Postboten warten. Der soll mir noch eine The Twang-Platte bringen. Und mich dann auf ihr Konzert heute Abend im Subrosa vorbereiten.

Das Ganze hier war also eine Werbeveranstaltung?

Wenn sie so wollen. Muss auch mal sein.

Die Röchte-Telefonate (9)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

 

jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los.

Können wir heute über Fußball reden?

Meinetwegen. Wurde ja auch mal Zeit.

Sie sind BVB-Fan. Waren sie schon im Stadion?

In dieser Saison? Nein, war ich nicht. Hatte aber rein zeitliche Gründe.

Sie betonen das jetzt so. Hätte es denn andere Gründe geben können?

Sie wollen auf die ganze Transfer-Scheiße hinaus, oder? Keine echte Liebe mehr, Dembélé, Spieler-Poker bis zur letzten Minute. Sorry, da sind sie bei mir falsch.

Aber man hört aus Fankreisen schon eine gewisse Verärgerung. Dachte sie, als ein sich links gerierender Autor, würden die Kritik am Verein teilen.

Sind wir schon wieder bei Kapitalismuskritik? Nein, sehen sie, wenn man Profifußball als Sport betrachtet, ist diese Kritik berechtigt. Aber Profifußball ist kein Sport.

Sondern?

Profifußball ist ein Teil der Massenkultur, der Popkultur; nennen sie es, wie sie wollen. Und die ist durch und durch kapitalistisch.

Das müssen sie mir jetzt aber erklären. Warum genau ist Profifußball kein Sport?

Sport ist nach meinem Verständnis Wettbewerb nach Regeln. Die Regeln sorgen dafür, dass die Voraussetzungen für alle Beteiligten gleich sind und es letztlich nur auf die Fitness, Kraft, Intelligenz, Ausdauer etc. des Einzelnen oder meinetwegen auch einer Mannschaft ankommt. Regeln sind da, damit alle unter den gleichen Voraussetzungen starten. Nun kann man natürlich sagen, Profisport findet nicht nur auf dem Rasen, beim Spiel oder im Training statt, sondern auch in der Welt der Manager, der Spielervermittler, der Scouts, der Fanbetreuer, der Pressemenschen etc. Der Verein als Ganzes ist der Player, nicht nur die Mannschaft. Gespielt wird nicht nur auf dem Rasen, sondern auch in den Chefetagen, in Verhandlungszimmern oder meinetwegen auch in den Fanblocks.

Faktisch ist das doch so.

Genau. Darum geht es mir auch gar nicht. Es ist nur so: Auf dem Platz versucht man die Regeln mit allen Mitteln durchzusetzen, Stichwort Videobeobachtung. (Ist aber ein anderes Thema.) Und außerhalb des Rasens gibt es keine Regeln. Kern jedes Vereins ist immer noch der Spielerkader und jedes Kind weiß, dass es bei seiner Zusammensetzung nicht um „echte Liebe“ geht, sondern um Kohle. Und wenn irgendein Hoffenheim-Wald-Und-Wiesen-Verein den richtigen Sponsor findet, kann er in der Bundesliga oben mitspielen. Egal ob Brausekönig oder Ölscheich, es gibt halt Leute, die für ihr Spielgeld nackte Männerbeine laufen sehen wollen. Da wird völlig ungeregelt Kohle in die Vereine gepumpt und wenn ein Verein keinen Geldgeber hat, wird er auf Dauer abgehängt.

Aber bei den Borussen oder Bayern gibt es doch solche Großinvestoren nicht.

Ist richtig. Beide agieren selbst gut am Markt und der BVB hat sich einen Teil seines Spielgelds von Aktionären geholt. Aber stellen sie sich vor, beide Vereine würden zwei, drei Jahre mal nicht europäisch spielen. Sie wären weg vom Fenster oder würden sich dann auch nach irgendwelchen Großinvestoren umschauen müssen. Auch hier scheißt der Teufel auf den großen Haufen. Wo schon was ist, kommt schnell noch mehr dazu: Fernsehgelder, Merchandising – der ganze Scheiß. Kleine Vereine haben da auf Dauer keine Chance.

Und sie sagen, da fehlen die Regeln.

Weiß nicht ob man das überhaupt wieder einholen kann, aber ein erster Schritt wäre die Deckelung der Vereinsetats nach oben. Ob ein Verein für 150 Millionen fünf Spieler kauft oder nur einen, ist mir letztlich egal – aber die Gesamtsumme sollte schon begrenzt sein. Nur so könnte man wieder halbwegs gerechte Verhältnisse herstellen. Aber das Kapital zu bändigen, ist, wie wir aus anderen Zusammenhängen wissen, nicht ganz so leicht.

Trotzdem gehen sie weiter ins Stadion?

Klar. Mir ist die Popkultur sowieso viel näher als der Sport.

Kein Fußballromantiker?

Zum Glück nicht. Wenn ich den Fußball als Sport sehen würde, müsste ich mir Spiele in der vierten Liga und abwärts anschauen. Aber mir geht es um das Spiel an sich. Als Fan muss man sich schon positionieren, auf einer Seite stehen, keine Frage. Sonst macht es keinen Spaß. Im Zentrum steht aber das Spiel. Und, seien wir ehrlich, wirklich gute Spiele sieht man nur im Profifußball.

Beim nächsten Heimspiel des BVB sind sie also dabei?

Klar.

Ja, denn. Vielen Dank. Was machen sie jetzt? Musikhören?

Ja, vielleicht. Aber ganz bestimmt keine BVB-Hits.

Die Röchte-Telefonate (8)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

 

jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los.

Lange nichts von ihnen gehört, waren sie in Hamburg?

Ich in Hamburg? Sie meinen am Wochenende? Wie kommen sie denn darauf?

Sie als Kapitalismuskritiker…

Vorsicht. Ein Kritiker ist doch jemand, der auf Schwachstellen hinweist um etwas zu verbessern.

Wenn sie meinen. Also Kapitalismusgegner.

Ein großes Wort. Unter einem Gegner verstehe ich jemand, der etwas bekämpft. Ich bekämpfe den Kapitalismus nicht. Auch wenn ich ihn nicht mag.

Sagten sie neulich schon: „Den Drachen füttern“.

Ihn ruhig halten.

Aber sie als Linker …

Halt, stopp. Jetzt sagen sie mir bitte zuerst, was sie unter „links“ verstehen.

Gremliza hat das in der letzten konkret so beschrieben: „Für mehr Gewalt, Waffen, Soldaten, Polizei, Überwachung, weniger Rechte für Frauen, Schwule, Lesben, Ausländer, mehr Vaterland, Arbeitszeiten, Autos, Abgase, weniger Rente: Das ist rechts. Von allem das Gegenteil: Da geht`s nach links“.

O.k., dem könnte ich mich anschließen. Aber vielleicht ein wenig materialistischer: Follow the money. Wir wissen, das Geld fließt immer nach oben. Gib dem Ärmsten einen Euro, irgendwann wird er in der Hand des Reichsten landen. Links wäre für mich alles, was sich diesem Naturgesetz des Kapitalismus entgegenstellt. Also dafür sorgt, das Geld nach unten fließt. Was das Kapital nicht freiwillig hergibt, muss erzwungen werden. Das ist vielleicht auch keine befriedigende Definition für „links“ aber wenn ich Entwicklungen, Aktionen etc. beurteilen möchte, frage ich mich immer: Wem nützt es? Wohin fließt die Kohle?

Dann noch mal nach Hamburg. Wem haben die Proteste genutzt?

Ganz platt gesagt, dem Kapital.

Sie meinen, weil es an abgefackelten Autos und kaputten Ladenfenstern letztlich verdient?

Das auch. Aber man hat ja dieses große Tohuwabohu auch inszeniert, um von den Schweinereien abzulenken, die auf diesem Gipfel wahrscheinlich wieder verhackstückt wurden. Außerdem sehen wir ja, wie die riots, die völlig absehbar waren, jetzt gegen linke Projekte gewendet werden. Da hat die sogenannte „Linke“ sich selbst ins Knie geschossen.

Man hätte also nicht protestieren sollen?

Ganz ehrlich? Ja, man hätte nicht protestieren sollen, zumindest nicht in Hamburg. Warum muss diese „Linke“ über jedes Stöckchen springen, das das Kapital und seine Helfer aus der Politik ihr hinhalten?

Aber man muss doch seine Meinung äußern.

Darum geht es doch gar nicht. Ich finde es toll, wenn junge Leute auf die Straße gehen, sich zusammentun, sagen, was ihnen nicht passt. Keine Frage. Aber in diesem Fall muss man sich doch ernsthaft fragen: Was hat es gebracht? Stellen sie sich mal Folgendes vor: Es wären zwar jede Menge Demos angemeldet worden aber nur ganz wenig Leute wären dahingekommen. Stattdessen hätte eine gut organisierte Linke (die es leider nicht gibt) an ganz anderer Stelle, vielleicht sogar in einem anderen Land, ein Gelände, ein Gebäude besetzt und demonstriert, wie sie sich ein gutes Leben jenseits des Kapitalismus vorstellt. Auch so eine Aktion wäre wahrscheinlich irgendwann platt gemacht worden, vielleicht auch nicht, wäre aber eine ganz andere und wirkungsvollere Form des Protests gewesen, als das, was in Hamburg gelaufen ist.

Braucht aber auch eine gewisse Militanz. Wie stehen sie denn zur Gewalt?

Schwierige Frage. Ich selbst kann nicht militant sein und kann das deshalb auch nicht von anderen fordern. Will nicht der Opa sein, der seine Enkel in den Krieg schickt. Das hindert mich aber nicht daran, der Wut junger Leute, die sich mit der geballten Staatsmacht konfrontiert sehen, ein gewisses Verständnis entgegenzubringen.

Sie meinen also, die Linke sollte ihre Kraft nicht mit Protesten verschwenden, sondern sie in Alternativen stecken.

Ja, auch wenn das ein wenig hippiemäßig klingt. Und das gilt natürlich nicht nur für Hamburg. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Protest gegen das Kapital nichts bringt, es sich im Zweifel selbst erledigt und eine Linke gut beraten wäre, viel stärker an Alternativen zu arbeiten und Freiräume für Leute zu erkämpfen, die mit der kapitalistischen Lebensweise nichts am Hut haben. Die Hamburger Flora ist ja wohl eines solcher wenigen Projekte. Sollte sie nach den Krawallen dicht gemacht werden, hat man genau das Gegenteil von Fortschritt erreicht.

In der ZEIT dieser Woche sagt Armin Nassehi „Eine Linke braucht es nicht mehr“. Hat er etwa Recht?

Herr Nassehi ist ja kein ganz dummer Mensch auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin, was er so von sich gibt. Er sagt ja, dass der leere Signifikant ‚Kapitalismus abschaffen‘ als theoretische und politische Lösung nicht mehr taugt. Dem würde ich zustimmen. Eine Linke die glaubt, dieses Ziel erreichen zu können, indem sie den Kapitalismus bekämpft, brauchen wir nicht. Wenn es um das Abschaffen geht, setzte ich größere Hoffnungen auf den Kapitalismus selbst. Trotzdem halte ich die Linke (und ich meine jetzt nicht diese Partei von Restsozialdemokraten) nicht für obsolet. Wir brauchen eine Linke die Alternativen entwickelt und Freiräume für die Erprobung des guten Lebens erkämpft.

Ja, denn. Vielen Dank. Was machen sie jetzt? Musikhören?

Nein, ich geh in den Garten und hör den Vögeln zu.

Die Röchte-Telefonate (7)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

 

jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los.

Sie hören grad Musik?

Ich dreh ja schon leiser. Eine Live-Aufnahme von Man aus den frühen Siebzigern.

Man? Sagt mir jetzt nichts.

Glaube ich gerne. Britische Band. Aus Wales, genauer gesagt. 68 gegründet.

Klar.

Haben ein paar gute Platten gemacht und sollen live der Hammer gewesen sein. Hab sie leider nie gesehen.

Gibt es die doch?

Keine Ahnung, vielleicht in der 10ten Neuauflage. Man gilt unter den britischen Progrock-Bands als die amerikanischste. Eine echte Dogen-Band. Zwanzig Minuten Gitarrenimprovisation und so.

Dachte immer, sie sind ein alter Punkrocker.

Johnny Rotten hat in Wirklichkeit auch so ein Zeug gemocht. Gebe gerne zu, manchmal Genesis, King Crimson, Hatfield and the North, Gentle Giant und sowas zu hören. Aber Man sind mir aus dieser Riege immer noch die liebsten.

O.k., und live? Was haben sie zuletzt live gehört?

Die Wave Pictures im Dortmunder Subrosa.

Oh, da muss ich jetzt auch passen.

Was kennen sie denn eigentlich? Ist aber ne neuere Band. Das heißt, so neu auch wieder nicht. Gibt es auch schon seit 1998. Kommen aus Wymeswold, Leicestershire. Liegt in England, wie sie wissen.

Klar.

Wohnen jetzt aber in London.

Und was machen die?

Da wäre ich dann wieder bei Man. Was die für den Progrock waren, sind die Wave Pictures für die sogenannte Indie-Mucke. Für mich die britische Band, die grad am amerikanischsten klingt. Außerdem ist ein eindeutiger Jonathan-Richman-Einfluss nicht zu verkennen.

Das interessiert mich jetzt aber.

Sollte es auch. Zuerst mal beherrschen alle drei ihre Instrumente. Ist bei neueren Bands ja nicht unbedingt immer der Fall. Ohne große Effektgeräte. Neben Indie-Schrammel gibt es Blueseinflüsse, manchmal ein bisschen Country, Rock’n’Roll, ab und zu ein leicht südamerikanischer Twang. Wie bei Jonathan eben. Sie haben es auch drauf, ganz leise zu spielen und ohne Mikro zu singen. Macht Richman ja auch oft. Weil sie spielen können, können sie auch improvisieren. Das hört man in der heutigen Popmusik nicht mehr so oft. Dementsprechend hat sich das Subrosa-Konzert auch total von dem im FZW unterschieden.

Wann war das?

Das FZW-Konzert? Im Dezember 2015. Noch nicht so lange her. Vorgestern im Subrosa waren auch mehr Leute, richtige Fans dabei. Einer hat ihnen sogar ein paar Runden Wodka spendiert.

Aber der Laden ist kleiner, oder?

Klar. Aber einer der besten in Dortmund. Da wurde noch mal völlig deutlich, welchen Einfluss die Location auf ein Popkonzert hat. Das Konzert im FZW war o.k., sie haben ihre Sachen gekonnt gespielt. Alle waren zufrieden. Aber das im Subrosa war eine ganz andere Nummer. Das FZW hat ja mit dem alten Laden am Neuen Graben nur noch den Namen gemeinsam. Der Neubau ist ein seelenloser Schuppen ohne Profil. Die machen alles, wenn die veranstaltenden Agenturen nur zahlen. Geht heutzutage vielleicht nicht anders, aber mein Ding ist das nicht.

Jetzt kommt schon wieder der Hippie in ihnen durch.

Scheiß drauf. Ist eben so. Vielleicht funktioniert Popmusik live sowieso nur in umgewidmeten Locations. Kinos, Kneipen, Industriegebäude, Bahnhofshallen … Schauen sie sich diese seelenlosen O2-Hallen, die es überall gibt, an. Wie das FZW: Guter Sound, unbestritten, aber ansonsten tot.

Die Multiplexkinos des Pop?

Ja. Die habe ich auch nie gebraucht.

Und welches ist das nächste Konzert?

Noch nichts geplant. Nehme mir immer vor, häufiger zu gehen und dann bleibt es dabei. Wahrscheinlich eine Alterserscheinung. Aber es gibt auch hier in der Gegend gute kleine Läden, die es zu unterstützen gilt. Mangelndes Angebot ist kein Argument. Anstatt die Kohle für teure Vinyls auszugeben, sollte man wohl öfter zu Livekonzerten gehen.

Klingt ja wie ein Aufruf.

Meinetwegen.

Danke für das Gespräch. Und was machen sie jetzt?

Noch eine Man-Platte hören.

Die Röchte-Telefonate (6)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

 

jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los.

Hatte es eben schon mal versucht. Wir wollten doch telefonieren.

Ja, war noch den Drachen füttern.

Den Drachen füttern? Was meinen sie damit?

„Shopping“, sagen die jungen Leute.

Und waren sie erfolgreich?

Die neue Feelies-CD und eine Packung Unterhosen, wenn sie es genau wissen wollen.

Den Ausdruck „den Drachen füttern“ hab ich in diesem Kontext noch nicht gehört. Wer oder was ist denn dieser Drache?

Muss ich das hier wirklich ausführen? Das Kapital natürlich.

Und das füttern sie? Warum lassen sie es nicht einfach verhungern?

Witzbold. Mach ich gerne, wenn sie mitmachen. Und alle, die durch die Supermärkte und Einkaufszonen rennen.

Aber die meisten haben doch Spaß daran.

Eben. Beziehungsweise meinen sie das zumindest. Sicher würde das Kapital ein allgemeiner Konsumverzicht schwer treffen, aber erzählen sie das mal den Leuten.

Tun sie es!

Habe ich aufgeben. Kapitulation auf der ganzen Linie.

Und füttern ihn stattdessen selbst, diesen Drachen.

Was soll ich machen. Muss in diesem System überleben. Es gibt kein anderes.

Kuba.

Ja, Kuba. Hab ich tatsächlich mal dran gedacht. Aber wie lange wird es denn dieses Kuba noch geben? Aber ehrlich gesagt, sind das nur Ausflüchte. Eigentlich muss ich hier bleiben, weil ich blöd bin. Beherrsche nur eine Sprache wirklich und kann mich nur mit Arbeiten am Kacken halten, die irgendwie mit Sprache zu tun haben. Da bleibt halt nur der deutsche Sprachraum und der ist nicht so groß. Ist mein persönliches Defizit, schon klar.

Aber könnten sie nicht auch im Ausland deutsche Texte verfassen?

Mag sein. Auf Dauer würde mir aber der Input fehlen. Wir Schreiber filtern und verdichten doch nur. Ja, ich sehe schon, dass sie das nicht überzeugt. Vielleicht bin ich auch nur zu faul oder zu alt. Auf jeden Fall werde ich hier bleiben und dem Drachen weiter meinen Tribut zollen.

Und es gibt keine Chance ihm zu entkommen?

Sehen sie eine? Ich nicht. Es ist doch wie in diesen Märchen: solange dem Drachen regelmäßig Opfer in Form von irgendwelchen Gaben oder auch von jungen Frauen oder Männern gebracht werden, lässt er die anderen in Ruhe. Sobald sie aufmucken, überzieht er das Land mit Vernichtung.

Aber da gibt es doch immer auch diesen Ritter, der den Drachen bezwingt.

Wer soll das sein? Dieser Schulz vielleicht oder Sarah Wagenknecht? Lächerlich. Nein, wir können froh sein, dass er im Augenblick nur unser Geld will. Ihm reicht, dass wir Teil seines Organismus sind. Die Menschenopfer holt er sich in Syrien, im Sudan, überall da wo Leute von Soldaten  ermordet werden, verhungern, an heilbaren Krankheiten krepieren oder in Umweltkatastrophen. Der Drache wütet weltweit. Wir leben auf einer Insel der Seligen.

Wenn wir Teil seines Organismus sind, sind wir dann also selbst der Drache?

Ja und nein. Wenn alle Menschen der westlichen Welt und Chinas und Japans, Koreas, Russlands und so weiter plötzlich aufhören würden, zu funktionieren wäre der Drache tot. Aber nur dann. Sobald nur ein wichtiger Teil seines Organismus überlebt, wird er wieder groß werden und sich die anderen Teile wieder einverleiben. Dass hat der Ostblock genau so erlebt.

Wobei man schon fragen darf, ob der Drache da wirklich tot war oder nur die Form gewechselt hat.

Sie sprechen von Staatskapitalismus. Kann sein. Das ist eine andere Frage, macht aber alles nicht besser.

Und nun?

Was, und nun?

Was tun?

Nichts. Wir werden weiter machen, wie wir es immer getan haben. Unsere Haut zu Markte tragen und den Drachen füttern. Wir können allenfalls schauen, dass es uns und unseren Lieben gut geht. Wenn es hoch kommt, können wir ein bisschen Einfluss auf unser Wohnumfeld nehmen, was für arme Kinder tun, für Geflüchtete, Obdachlose, eben für alle, denen der Drache mehr zusetzt als uns.

Klingt nach Gewissensberuhigung.

Ja, ist es.

Und was machen sie jetzt?

Die Feelies-Platte hören.

Die Röchte-Telefonate (5)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

 

jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los.

Was machen Sie denn grad?

Musikhören.

Dann lassen sie uns doch über Musik reden.

Wenn ihnen nichts anderes einfällt.

Was hören sie denn gerade so?

50 Song Memoir von den Magnetic Fields.

Oh, dann rufe ich in zweieinhalb Stunden noch mal an.

Nein, ist o.k. Bin fast durch.

Und?

Was, und? Erwarten sie jetzt eine spontane Plattenkritik?

Warum nicht? Die Platte ist ja in allen Medien gehypt worden. Was sagen sie?

Ja, das Marketing stimmt. Aber ehrlich gesagt, ich hab ihren Gebrauchswert noch nicht erkannt.

Was meinen sie denn mit Gebrauchswert?

Schlicht gesagt, ich weiß nicht, was ich mit der Platte anfangen soll. Zum Nebenbeihören taugt sie nichts, Tanzen kann man bei gutem Willen nur zu ein paar Stücken, im Auto möchte ich sie auch nicht hören und zum Intensivhören auf dem Sofa oder über den MP3-Player ist sie viel zu langatmig.

Habe irgendwo gelesen, dass es sich um ein Liedermacheralbum handelt.

Mag sein. Die Texte sind ja wohl wichtig und soweit ich sie verstehe, auch ganz lustig. Aber ich finde Texte in der Popmusik ziemlich überbewertet und wer setzt sich schon hin, um sich zweieinhalb Stunden das Gegrummel dieses Stephin Merritt anzuhören?

Sie vielleicht?

Ja, stimmt. Warum eigentlich? Denke, weil ich seine Stimme mag. Aber seine besten Stücke hat er auf 69 Songs veröffentlicht. Da führt kein Weg dran vorbei.

Noch mal zum Gebrauchswert. Sie meinen also Popmusik muss einen Gebrauchswert haben? Ein marxistischer Begriff.

Meinetwegen. Aber wenn ich etwas kaufe, will ich auch was damit anfangen können. Genuss auf dem Sofa, Entspannung, Tanzen, Erkenntnis, was weiß ich.

Schon mal was von autonomer Kunst gehört?

Ich spreche jetzt aus reiner Kundensicht. Natürlich hat Stephin Merritt das Recht, seine Ideen nach seinem Gusto umzusetzen. Und konzeptionell finde ich die Idee, jedem Lebensjahr einen Song zu widmen, ja auch interessant. Aus Sicht des Künstlers ist das ein Statement, völlig o.k. Hatte mir nach dem Wirbel um die Platte aber mehr versprochen. Und sie hatten mich ja nach meiner Meinung gefragt.

Ist denn heutzutage nicht das Marketingkonzept unmittelbarer Bestandteil eines künstlerischen Werks?

Mag sein, da sagen sie was. Kunst im Kapitalismus. Pop halt. Hat auch funktioniert, habe die Platte ja gekauft. Ihren Tauschwert von 30 € habe ich bei Saturn hingelegt. Aber noch mal: Das sagt gar nichts über ihren Gebrauchswert aus.

Und was machen Sie jetzt damit?

Erst mal zur Seite legen. Denke, ich hör sie mir in einem halben Jahr noch mal in Ruhe an, wenn das mediale Nebengetöse verklungen ist. Dann ziehe ich mir ein paar schöne Stücke, die es ja auch gibt, z.B. das, in dem es um Jefferson Airplane geht, herunter und packe sie auf eine Festplatte, die später mal mit in die Seniorenresidenz geht. Viele Stücke werden das aber wohl nicht werden. Aus heutiger Sicht. Aber vielleicht ändert sich das ja noch.

Und was hören sie als nächstes?

Volunteers von Jefferson Airplane.

Danke für das Gespräch.

Die Röchte-Telefonate (4)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

 jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los.

Sind sie eigentlich in den Sozialen Medien aktiv?

Soziale Medien? Na, ja. Ein bisschen Twitter. Was soll die Frage?

Die Leser wollen wissen, wie ein Mann wie sie im Netz aufgestellt ist.

Welche Leser? Ist doch uninteressant.

Also Twitter. Was machen sie da?

Überschriften lesen. Hab die Tageszeitung abbestellt, weil ich gemerkt hab, dass ich sowieso nur noch die Überschriften lese. Das kann ich auch bei Twitter. Und wenn doch mal was interessant zu sein scheint, kann man es ja anklicken und im Netz lesen.

Sonst nichts?

Nun ja, folge über 1.500 Accounts. Tageszeitungen, Medienblogs, Privatleuten, Parteien, Aktivisten, Möchtegernautoren, Bands, Musikagenturen, Städten … Was mich halt so interessieren könnte. Ist mein Newsticker.

Und das lesen sie alles?

Natürlich nicht. Ab und an reingucken reicht. Das meiste ist eh Schrott – was in der Tageszeitung aber nicht anders ist. Vom Fernsehen gar nicht zu reden.

Und sie selbst schreiben auch?

Wenig. Liest doch keiner.

Wieviel Follower haben sie denn?

Grad circa 400.

Das ist doch eine ganze Menge. Die durchschnittliche Followerzahl soll ja nur bei 1 liegen.

Solche Statistiken sind doch völliger Quatsch. Man kann doch nicht jeden der sich anmeldet und mal einen Tweet verschickt als Nutzer zählen.

Aber auch die aktiven Nutzer sollen durchschnittlich nur circa 60 Follower haben.

Wo haben sie das denn her? Was ist denn ein aktiver Nutzer? Aber egal, ich finde 400 nach acht Jahren wenig.

Solange sind sie schon dabei?

Denke ja. Außerdem glaube ich, dass nur 10 Prozent der Follower meinen Account wirklich verfolgen. Höchstens. Der Rest besteht aus Bots, irgendwelchen Unternehmen, Allesverfolgern, keine Ahnung. Aber darum geht es mir nicht. Twitter ist ein einfacher Blick in die Welt. That’s all.

Aber ein verkürzter und verzerrter.

Die Reduktion auf 140 Zeichen finde ich erstmal toll. Und welches Medium verzerrt nicht. Man muss eben damit umgehen können.

Wenn sie schon so viel lesen, dann werden sie auch viel liken.

Ich like nichts. Wenn ich einen Tweet richtig, wichtig oder einfach nur schön finde, dann retweete ich ihn. Da sollen dann auch andere was von haben. Liken ist Quatsch. Die Verbreitung von Nachrichten ist doch das Wesen von Twitter, oder? Wen interessiert schon, was ich so mag?

Was retweeten sie denn so?

Wie gesagt, alles was ich richtig, wichtig oder einfach nur schön finde. Aber nichts Privates keine Fotos von irgendwelchen Viechern und keine Mahlzeiten, auch kein Gestöhn über Montage oder Wochenendgejubel.

Das heißt, 95 Prozent des Twittercontents interessiert sie nicht.

So ungefähr. Sage ich doch.

Und wenn sie schreiben, was wäre das so.

Lesen sie doch selbst. Kann ihnen aber sagen, worüber ich nichts schreibe: Nichts Privates, nichts über Katzen und sonstige Viecher, nichts über mein Essen und auch sonst keine Bekundungen über meine Gefühlslagen, Gesundheitszustände und sonstige Befindlichkeiten.

Dann bleibt nicht viel.

Immer noch genug.

Dann müssen wir noch über Trump reden. Der WDR meint, Trump würde Twitter ruinieren. Zitat von Jörg Schieb auf der WDR-Seite: „Es ist halt auch peinlich, was auf Twitter los ist, seitdem Donald Trump den Zwitscherdienst als sein offizielles Sprachrohr erwählt hat“.

Über diesen Trump kann sich man wirklich nicht in 140 Zeichen auslassen. Aber kann man Twitter dafür verantwortlich machen, dass sich der Irre von Washington da austobt? Dahinter steckt doch der Gedanke, Twitter sei etwas Gutes. Das ist nicht so. Twitter ist eine Technik. Und jede Technik ist so gut oder so schlecht, wie sie genutzt wird. Das ist alles.

Aber in dem Artikel steht auch, dass Twitter aufgrund des hohen Tweet-Aufkommens durch die Trump-Diskussionen in die Knie gehen könnte.

Mag sei. Bleibt abzuwarten. Aber das ist doch ein technisches Problem, oder? Oder glauben sie, Jack Dorsey kriegt kalte Füße? Keine Ahnung. Wird sich zeigen.

Dann noch was anderes. Welche Musik hören sie grad?

Eine Compilation: C87. Aktuelle Musik ist grad sehr langweilig.

Danke für das Gespräch.