Die Röchte-Telefonate (8)

Es ist gelungen, den mittelwestfälischen Autor Antonius Röchte für eine Reihe von Telefoninterviews zu gewinnen. Sie werden hier in loser Folge veröffentlicht.

 

jojo: Tag, Herr Röchte, wir hatten ein Interview vereinbart. Passt es grad?

Antonius Röchte: Nein, aber legen sie los.

Lange nichts von ihnen gehört, waren sie in Hamburg?

Ich in Hamburg? Sie meinen am Wochenende? Wie kommen sie denn darauf?

Sie als Kapitalismuskritiker…

Vorsicht. Ein Kritiker ist doch jemand, der auf Schwachstellen hinweist um etwas zu verbessern.

Wenn sie meinen. Also Kapitalismusgegner.

Ein großes Wort. Unter einem Gegner verstehe ich jemand, der etwas bekämpft. Ich bekämpfe den Kapitalismus nicht. Auch wenn ich ihn nicht mag.

Sagten sie neulich schon: „Den Drachen füttern“.

Ihn ruhig halten.

Aber sie als Linker …

Halt, stopp. Jetzt sagen sie mir bitte zuerst, was sie unter „links“ verstehen.

Gremliza hat das in der letzten konkret so beschrieben: „Für mehr Gewalt, Waffen, Soldaten, Polizei, Überwachung, weniger Rechte für Frauen, Schwule, Lesben, Ausländer, mehr Vaterland, Arbeitszeiten, Autos, Abgase, weniger Rente: Das ist rechts. Von allem das Gegenteil: Da geht`s nach links“.

O.k., dem könnte ich mich anschließen. Aber vielleicht ein wenig materialistischer: Follow the money. Wir wissen, das Geld fließt immer nach oben. Gib dem Ärmsten einen Euro, irgendwann wird er in der Hand des Reichsten landen. Links wäre für mich alles, was sich diesem Naturgesetz des Kapitalismus entgegenstellt. Also dafür sorgt, das Geld nach unten fließt. Was das Kapital nicht freiwillig hergibt, muss erzwungen werden. Das ist vielleicht auch keine befriedigende Definition für „links“ aber wenn ich Entwicklungen, Aktionen etc. beurteilen möchte, frage ich mich immer: Wem nützt es? Wohin fließt die Kohle?

Dann noch mal nach Hamburg. Wem haben die Proteste genutzt?

Ganz platt gesagt, dem Kapital.

Sie meinen, weil es an abgefackelten Autos und kaputten Ladenfenstern letztlich verdient?

Das auch. Aber man hat ja dieses große Tohuwabohu auch inszeniert, um von den Schweinereien abzulenken, die auf diesem Gipfel wahrscheinlich wieder verhackstückt wurden. Außerdem sehen wir ja, wie die riots, die völlig absehbar waren, jetzt gegen linke Projekte gewendet werden. Da hat die sogenannte „Linke“ sich selbst ins Knie geschossen.

Man hätte also nicht protestieren sollen?

Ganz ehrlich? Ja, man hätte nicht protestieren sollen, zumindest nicht in Hamburg. Warum muss diese „Linke“ über jedes Stöckchen springen, das das Kapital und seine Helfer aus der Politik ihr hinhalten?

Aber man muss doch seine Meinung äußern.

Darum geht es doch gar nicht. Ich finde es toll, wenn junge Leute auf die Straße gehen, sich zusammentun, sagen, was ihnen nicht passt. Keine Frage. Aber in diesem Fall muss man sich doch ernsthaft fragen: Was hat es gebracht? Stellen sie sich mal Folgendes vor: Es wären zwar jede Menge Demos angemeldet worden aber nur ganz wenig Leute wären dahingekommen. Stattdessen hätte eine gut organisierte Linke (die es leider nicht gibt) an ganz anderer Stelle, vielleicht sogar in einem anderen Land, ein Gelände, ein Gebäude besetzt und demonstriert, wie sie sich ein gutes Leben jenseits des Kapitalismus vorstellt. Auch so eine Aktion wäre wahrscheinlich irgendwann platt gemacht worden, vielleicht auch nicht, wäre aber eine ganz andere und wirkungsvollere Form des Protests gewesen, als das, was in Hamburg gelaufen ist.

Braucht aber auch eine gewisse Militanz. Wie stehen sie denn zur Gewalt?

Schwierige Frage. Ich selbst kann nicht militant sein und kann das deshalb auch nicht von anderen fordern. Will nicht der Opa sein, der seine Enkel in den Krieg schickt. Das hindert mich aber nicht daran, der Wut junger Leute, die sich mit der geballten Staatsmacht konfrontiert sehen, ein gewisses Verständnis entgegenzubringen.

Sie meinen also, die Linke sollte ihre Kraft nicht mit Protesten verschwenden, sondern sie in Alternativen stecken.

Ja, auch wenn das ein wenig hippiemäßig klingt. Und das gilt natürlich nicht nur für Hamburg. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Protest gegen das Kapital nichts bringt, es sich im Zweifel selbst erledigt und eine Linke gut beraten wäre, viel stärker an Alternativen zu arbeiten und Freiräume für Leute zu erkämpfen, die mit der kapitalistischen Lebensweise nichts am Hut haben. Die Hamburger Flora ist ja wohl eines solcher wenigen Projekte. Sollte sie nach den Krawallen dicht gemacht werden, hat man genau das Gegenteil von Fortschritt erreicht.

In der ZEIT dieser Woche sagt Armin Nassehi „Eine Linke braucht es nicht mehr“. Hat er etwa Recht?

Herr Nassehi ist ja kein ganz dummer Mensch auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin, was er so von sich gibt. Er sagt ja, dass der leere Signifikant ‚Kapitalismus abschaffen‘ als theoretische und politische Lösung nicht mehr taugt. Dem würde ich zustimmen. Eine Linke die glaubt, dieses Ziel erreichen zu können, indem sie den Kapitalismus bekämpft, brauchen wir nicht. Wenn es um das Abschaffen geht, setzte ich größere Hoffnungen auf den Kapitalismus selbst. Trotzdem halte ich die Linke (und ich meine jetzt nicht diese Partei von Restsozialdemokraten) nicht für obsolet. Wir brauchen eine Linke die Alternativen entwickelt und Freiräume für die Erprobung des guten Lebens erkämpft.

Ja, denn. Vielen Dank. Was machen sie jetzt? Musikhören?

Nein, ich geh in den Garten und hör den Vögeln zu.